Definition und Symptome von ADHS
Kernsymptome der ADHS
Hauptsymptome
Die Hauptsymptome der ADHS kommen in allen Lebensphasen vor, aber sie sind unterschiedlich stark ausgeprägt.
Hyperaktivität
Die Hyperaktivität zeichnet sich unter anderem dadurch aus, dass die Person immer in Bewegung ist und wie aufgezogen wirkt. Sie fühlt sich «unter Strom» und hat Mühe länger ruhig sitzen zu bleiben. Ebenfalls zeichnet sich die Überaktivität durch exzessives Reden aus.
Impulsivität
Die Impulsivität kommt dadurch zum Ausdruck, dass die Person andere in ihrer Beschäftigung stört oder ihnen ins Wort fällt und inhaltlich vorgreift. Sie trifft unüberlegte Entscheidungen, ohne an die Konsequenzen zu denken. Es geht der Person primär darum, etwas schnell zu erledigen; Details werden häufig übersehen. In ihrem Sozialverhalten sind Betroffene oft störend und dadurch ist der Umgang mit anderen Menschen im Alltag beeinträchtigt.
Unaufmerksamkeit
Die Unaufmerksamkeit ist gekennzeichnet durch erhöhte Ablenkbarkeit und die Schwierigkeit, lange zuzuhören. Weitere Probleme sind das Einteilen der Zeit, die Selbstorganisation («Hinausschieberitis») und das Abschliessen von Aufgaben. Die Person vermeidet auch intuitiv Aufgaben mit langer Aufmerksamkeitsbelastung. Typischerweise verlegt und verliert sie viele Gegenstände und verbringt viel Zeit beim Suchen.
Altersabhängige Veränderungen der Symptomausprägung
Die Symptome von ADHS unterliegen einer Entwicklung parallel zum Alter der Betroffenen. So sind Unaufmerksamkeit, Impulsivität und Hyperaktivität auch bei Erwachsenen mit ADHS die Hauptsymptome, jedoch kommt es zu gewissen Änderungen ihrer Ausprägung. Die motorische Unruhe der Kinder und Jugendlichen wird in den meisten Fällen ersetzt durch eine «innere Unruhe» bei der erwachsenen Person.
Ebenfalls hat die Impulsivität eine eigene Ausdrucksform, die sich von derjenigen im Kinder- und Jugendalter unterscheidet. Hier stehen Ungeduld und das Vermeiden von langen Veranstaltungen im Vordergrund. Alltagssituationen, die Geduld erfordern wie beispielsweise Schlange stehen an der Kasse, werden ebenfalls möglichst umgangen.
Zusätzlich zu den Kernsymptomen der ADHS kommen im Erwachsenenalter weitere hinzu wie beispielsweise Desorganisation im Lebensalltag, schnelle Stimmungswechsel, Stressüberempfindlichkeit und Schwierigkeit bei der Temperamentskontrolle. Weiter ist das geringe Selbstvertrauen der Betroffenen als Symptom zu beobachten.
Ursachen
Genetische Ursachen
ADHS ist eine Erkrankung mit starker genetischer Grundlage. Sind die Eltern einer Person von der Krankheit betroffen, ist die Wahrscheinlichkeit für die Erkrankung des Kindes fünf Mal höher, bedingt durch die genetische Vererbung von ADHS.
Neurobiologische Ursachen
ADHS geht von einer Fehlfunktion zentraler Neurotransmittersysteme aus. Das bedeutet, dass im Zwischenraum zweier Nervenzellen nicht ausreichend Botenstoffe zur Verfügung stehen. Diese Unterversorgung führt zu einer Dysfunktion des Gehirns. Resultierend daraus kommt es bei ADHS in gewissen Teilen des Gehirns zu einer permanenten Reizüberflutung.
Diese Fehlfunktion betrifft jene Bereiche des Gehirns, wo sich das Aufmerksamkeitssystem befindet. Ebenfalls sind die Informationsverarbeitung und die Daueraufmerksamkeit davon betroffen.
Normale Reizweiterleitung
- Reiz kommt an und löst Freisetzung von Botenstoffen aus
- Die Botenstoffe binden an den Rezeptoren und aktivieren dadurch das Empfängerneuron
- Die Botenstoffe werden durch die Pumpe wiederaufgenommen
Botenstoffstörung bei ADHS
- Freisetzung der Botenstoffe geschieht normal
- Die Aufnahme der Botenstoffe ist erhöht durch zu viele oder überaktive Pumpen
- Es sind zu wenige Botenstoffe vorhanden, welche den Reiz weiterleiten
Umwelteinflüsse
Ungünstige Umgebungsbedingungen können das Risiko erhöhen, an ADHS zu erkranken. Hierzu gehören perinatale Komplikationen, niedriges Geburtsgewicht, instabile Familienverhältnisse ohne Struktur, eine Belastung mit Suchtkrankheiten und weitere Faktoren. So können bestimmte genetische Risikokonstellationen unter ungünstigen Umwelteinflüssen die Auslösung von ADHS begünstigen.
Diagnoserstellung
Klinische Diagnose
Die Diagnose der ADHS im Erwachsenenalter beruht auf einer klinischen Untersuchung. Zentral hierfür ist nach DSM-5 (die fünfte Auflage des Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders), dem amerikanischen Diagnoseinstrument, der Nachweis von 18 diagnostischen Kriterien (Tabelle 1). Es werden dabei neun Merkmale zum Nachweis der Aufmerksamkeitsstörung und ebenfalls neun zum Beleg von Hyperaktivität und Impulsivität überprüft.
Tabelle 1: Merkmale der Aufmerksamkeitsstörung sowie Überaktivität und Impulsivität nach DSM-5
Zusätzlich muss nachgewiesen werden, dass einzelne Symptome von ADHS bereits vor dem 12. Lebensjahr bei der betreffenden Person vorhanden waren. Weiter sollen in mehr als einem Lebensbereich die mit ADHS verbundene Auffälligkeiten erkennbar sein. Und zuletzt muss erwiesen sein, dass die Störung funktionelle Einschränkungen im Lebensalltag und Einbussen bei der Lebensqualität für die betroffene Person zur Folge hat.
Drittauskünfte
Eine Fremdbeurteilung zur Diagnosestellung ist hilfreich, aber oft erschwert (Auskünfte von Eltern oder Partnern / Zeugnisse
aus der Schulzeit / Arbeitszeugnisse).
Fragebögen (Selbst-Rating)
Es stehen unterschiedliche Fragebögen zur Verfügung, um im Rahmen einer Selbstbeurteilung zu erörtern, ob ADHS als Störung festgestellt werden kann.
Neuropsychologische Tests
Neuropsychologische Testverfahren sind bei speziellen Fragestellungen hilfreich. Jedoch können neuropsychologische Instrumente bei Bedarf in der Verlaufsbeobachtung der Therapie genutzt werden.
Therapie
Psychoedukation
Die Psychoedukation teilt sich auf in Aufklärung, Beratung und Führung. Dabei werden die Patienten und gegebenenfalls ihr unmittelbares Umfeld über das Störungsbild informiert. Weiter werden mögliche Behandlungsformen vorgestellt und eingeleitet.
Indikation zur Behandlung
Es ist wichtig festzuhalten, dass aus der Diagnose einer ADHS im Erwachsenenalter sich nicht zwangsläufig eine Behandlungsnotwendigkeit ableitet. So wird in diesem Zusammenhang nochmals genau erörtert, ob die funktionellen Einschränkungen im Leben der Betroffenen und die damit verbundenen Problematiken im sozialen Leben eindeutig durch ADHS verursacht sind. Dabei ist der Leidensdruck der Betroffenen entscheidend.
Begleiterkrankungen / Komorbiditäten
Die Mehrzahl von erwachsenen ADHS-Patienten leiden an Begleitstörungen wie Depression, Angst, Abhängigkeits- oder auch Schlafstörungen. Je nach Schweregrad dieser Begleiterkrankungen muss die Behandlung entsprechend priorisiert werden. Die Hierarchisierung nach klinischer Relevanz bei der Behandlungsplanung wird durch die Fachperson vorgenommen.
Multimodales Therapiekonzept
Primäres Ziel der Behandlung von ADHS ist die Verminderung des subjektiven Leidensdrucks sowie die Erhöhung der Lebensqualität. Hierzu gibt es diverse Therapiemöglichkeiten, welche einzeln oder auch kombiniert angewandt werden können. Entsprechend dem Schweregrad der Symptomatik und der Einschränkungen im Alltag muss ein auf die einzelne Person zugeschnittenes Therapiekonzept erarbeitet werden.
Pharmakotherapie
Zur Behandlung von ADHS bei Erwachsenen sind in der Schweiz Medikamente mit den Wirkstoffen Methylphenidat, Dexmethylphenidat, Lisdexamfetamin und Atomoxetin zugelassen. Die Medikamente verändern das Zusammenspiel bestimmter Botenstoffe im Gehirn (Neurotransmitter) und können die ADHS-Symptomatik verbessern.
Störungsorientierte Therapieansätze (inkl. Coaching)
Psychosoziale Interventionen werden vor allem dann eingesetzt, wenn:
- Diagnosestellung erst im Erwachsenenalter und ein Prozess zur Akzeptanz der Krankheit durchlaufen wird
- Nach Aufklärung über die Störung der Patient sich gegen den Einsatz von Medikamenten entscheidet
- Trotz medikamentöser Behandlung noch Symptome und / oder funktionelle Beeinträchtigungen bestehen
- Kontraindikationen gegen eine medikamentöse Behandlung vorhanden sind
- Schwierigkeiten mit der Akzeptanz der Diagnose bestehen
- Nur geringe Symptome nachweisbar sind und eine psychosoziale Intervention als ausreichende Therapieform erachtet wird, um geringe funktionelle Einschränkungen im Alltag im Griff zu haben
Es werden verschiedene Konzepte mit unterschiedlichen Schwerpunkten angeboten. Inhaltlich sind aber einige Gemeinsamkeiten wie der Umgang mit Desorganisiertheit, Verbesserung der Aufmerksamkeit oder auch Impulskontrolle vorhanden. Es geht in erster Linie darum, den Umgang mit der Symptomatik zu erlernen und zu festigen. Dabei können sowohl Einzel- als auch Gruppentherapien erfolgsversprechend sein.
Wichtigste Behandlungsgrundsätze für ADHS im Erwachsenenalter:
- Grundlage jeglicher Behandlung ist eine gründliche Differenzialdiagnostik und die Psychoedukation
- Bei ADHS-bedingten Einschränkungen (Leidensdruck) ist eine weiterführende Behandlung angezeigt
- Zugelassen im Erwachsenenalter sind nur vier Substanzen (Siehe Kapitel Pharmakotherapie)
- Medikation erster Wahl ist Methylphenidat
- Störungsorientierte Psychotherapie ist wissenschaftlich gut untersucht
- Die Wirksamkeit psychotherapeutischer Behandlungen wird durch eine medikamentöse Behandlung verstärkt
ADHS-Selbsttest
02/2021 337374-062101
Auch in unserem Ratgeber finden Sie den Selbsttest:
03/2023 092301 NPS-CH-00658